Am 22. Mai 1994 jährte sich zum 150. Mal der Abend, an dem der Báb Seine Sendung als Gottesoffenbarung Seinem ersten Anhänger kundtat. Dieser Jahrestag wird von den Bahá’í in aller Welt festlich begangen. Die Bahá'i-Briefe tragen mit einem Überblick über frühe Reaktionen auf die neue Religion in der westlichen Welt dazu bei.
Im Westen wie im Osten bewegte zu Beginn des 19. Jahrhunderts Menschen aus vielen Glaubensrichtungen eine eigenartige religiöse Erwartung. Hier wie dort war man in den Heiligen Schriften auf Hinweise gestoßen, die das Kommen eines Welterlösers prophezeiten. Im Osten erklärte am Vorabend des 23. Mai 1844 ein fünfundzwanzigjähriger Kaufmann aus einer angesehenen Familie in Shíráz
(Mirza 'Alí Muhammad, 1819-1850), Vorbote und Wegbereiter für diesen Welterlöser zu sein. Er selbst stiftete den Bábí-Glauben, der sich um geistige Erneuerung bemühte und Seine Anhänger auf den bald nach Ihm kommenden großen Gottesboten (Bahá’u’lláh, 1817-1892) verpflichtete, der ein Zeitalter der Gerechtigkeit und des Friedens bringen und die Verheißungen aller früheren Religionen erfüllen
werde. Bald hatte der Báb eine große Anhängerschaft, darunter zahlreiche Gelehrte und Personen von hohem gesellschaftlichen Rang. Doch die Verfolgung durch geistliche und weltliche Mächte Seines burtslandes setzte rasch ein. Der Báb wurde in die Bergfestungen Máh-Kú und Chiríq im Nordwesten des Landes verbannt und am 9. Juli 1850 in Tabríz durch Erschießen hingerichtet. Etwa 20 000 Seiner Anhänger wurden so grausam getötet, daß sie - wie der Báb selbst - das warme Mitgefühl westlicher Diplomaten und Autoren erregten. Auch Bahá’u’lláh, dessen Identität den Anhängern des Báb damals noch nicht bekannt war, wurde als Bábí verhaftet, eingekerkert und schließlich nach Baghdád
verbannt. Dort gab Er der Bábí-Gemeinde neue Rechtleitung und erklärte 1863 (kurz vor der Weiterverbannung), der vom Báb verheißene Gottesbote zu sein. Damit erfüllte Er die Ankündigung des Báb, und der Bábí-Glaube ging in den Bahá’í-Glauben über. Später sorgte Bahá’u’lláh dafür, daß die sterblichen Überreste des Báb ins Heilige Land überführt und in einem Mausoleum in Haifa am Berg Karmel beigesetzt wurden. Dort befindet sich heute das geistige und administrative Weltzentrum der Bahá’í-Religion.
Die Geschichte des Lebens und Wirkens des Báb wird von Shoghi Effendi in seinem Geschichtswerk Gott geht vorüber geschildert. Eine besonders detaillierte und eindringliche Darstellung der Geschichte des Bábí-Glaubens ist der in der deutschen Fassung dreibändige Nabils Bericht. Aus den frühen Tagen der Bahá’í-Offenbarung Da im neunzehnten Jahrhundert auch in europäischen Ländern Bewegungen wie die Templer-Vereinigung in Stuttgart entstanden, die in Erwartung auf die Wiederkehr Christi ins Heilige Land zogen, sind Publikationen über den Báb in der westlichen Welt von großem Interesse. Sie spiegeln das Lebensgefühl und die Erwartungen mancher Europäer wider und filtern so die neuen religiösen Lehren durch die Sichtweise einer angeblich aufgeklärten, aber dennoch
in vielen Aspekten suchenden Gesellschaft.Die erste Erwähnung des Bábí-Glaubens durch einen Europäer war ein Bericht eines Engländers. Major Rawlinson beschrieb darin aus Baghdád den Prozeß gegen Mullá 'Alfyi-Bastamí und die allgemeine Aufregung über die neue Religion. Das erste gedruckte Zeugnis war ein Artikel in der Londoner Zeitung The Times vom 1. November 1845, der mehrfach in London, New York, Philadelphia und sogar im australischen Melbourne abgedruckt wurde.
Zum damaligen Zeitpunkt gab es zwei europäische Gesandte in Teheran: Oberstleutnant Justin Sheil (der spätere Lord Sheil) von der britischen Regierung und Prinz Dolgorukov vom russischen Zarenreich. Der Franzose Joseph Philippe Ferrier war nicht offiziell als französischer Abgesandter akkredi-
tiert, berichtete aber auch in seine Heimat. Seine schriftlichen Darstellungen basierten auf Regierungsquellen, waren dementsprechend negativ gefärbt und betonten den angeblich aufrührerischen Charakter der neuen Bewegung. Die in der persischen Hauptstadt lebenden Europäer hielten den jungen Glauben anfangs für eine anarchistische und möglicherweise revolutionärsozialistische Ideologie;
diese Auffassung erklärte sich aus den offiziellen persischen Darstellungen und aus der aufgewühlten Situation in vielen Teilen Europas. Neben den Berichten des Oberleutnants Sheil schrieb auch seine Frau, Lady Sheil, ausführlich über ihre Zeit in Persien, und ihr Werk Glimpses of Life und Manners in Persia wurde von vielen späteren Autoren als Quelle benutzt. Die erste für Wissenschaftler bestimmte Abhandlung über die Bábi-Religion verfaßte der amerikanische Missionar Dr. Austin H. Wright (»A Short Chapter in the History of Bábeeism in Persia«), der beim Treffen der amerikanischen Gesellschaft für Orientalisten am 18./19. Mai 1853 verlesen wurde. Eine von Dr. Justin Perkins besorgte deutsche Übersetzung des unveröffentlichten Originals erschien in der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (1851).
Die Aufstände in Shaykh Tabarsí, Zanján und Nayríz sowie der Märtyrertod des Báb am 9. Juli 1850 fanden ein sehr geringes Echo in der zeitgenössischen europäischen Presse. Zur Zeit der massiven Hinrichtungswelle im Jahr 1852 befanden sich keine europäischen in Persien. Dennoch folgten ab Oktober desselben Jahres in Frankreich, England, Österreich, Konstantinopel und den USA Berichte, die auf der Basis persischer Quellen erstellt wurden.
Das erste im Westen erschienene Buch, in dem der Bábí-Glauben erwähnt wird, war das Werk des Pfarrers Henry Aaron Stern, Dawnings of Light in the East (1854). Stern hatte im April 1852 Bábí-Extremisten, die nicht im Sinne des Báb handelten, in Bárfurúsh getroffen. Zwei Jahre später erschien Lady Sheils Buch, und 1857 veröffentlichte der in Madras arbeitende R. B. M. Binning sein stark voreingenommenes Journal of Two Years’ Travel in Persia, Ceylon etc. Der bekannte britische Orientalist ofessor E. G. Browne kritisierte dieses Werk wegen der feindseligen, vorurteilsbehafteten Einstellung den Völkern gegenüber, die es zu porträtieren vorgab. Im Jahr 1860 unternahm der deutsche Orientalist Jean-Albert-Bernard Dorn ausgedehnte Reisen durch Mázindarán und Gílán. Darüber veröffentlichte er diverse Berichte und hielt im Januar und September 1865 Vorträge in der historisch-philologischen Abteilung der russischen Akademie der Wissenschaften. Dr. Jakob Polak weilte in Teheran, als zwei - durch den Märtyrertod des Báb verwirrte Bábí ein Attentat auf den Sháh ausübten.
Er behauptete auch, beim Märtyrertod von Táhirih anwesend gewesen zu sein. Trotz dieses angeblich engen Kontakts macht er in seinem Buch Persien: Das Land und seine Bewohner (1865) falsche Angaben über die Lehren des Báb. Neben diesen Büchern und Vorträgen gab es auch kurze Stellungnahmen des Engländers John Usher im Anschluß an seine Persienreise und von Edward Backhouse Eastwick, dem Orientalisten und Sekretär der britischen Gesandtschaft in Teheran (Mai 1860 bis Mai 1863).
Das Bekannt werden der Bábí-Religion in der westlichen Welt beruhte hauptsächlich auf Joseph Arthur Comte de Gobineaus etwa zur Hälfte diesen Glauben behandelndem Werk Les Religions et les Philosophies dans l'Asie Centrale (1865). Paradoxerweise beschäftigte sich gerade Gobineau, der später
vielen als Verfechter rassistischer Ideen bekannt wurde, mit einem Glauben, der die Freiheit von rassischen und anderen Vorurteilen fordert. Als Quelle für die sieben Kapitel und den Appendix über die Bábí-Lehren benutzte Gobineau die offizielle Geschichtsschreibung des persischen Hofes. Er trat auch in Kontakt mit einigen Bábí, z.B. mit Verwandten und Verbündeten Mirza Yahyas, der später seinen Halbbruder Bahá’u’lláh bekämpfte und selbst den Anspruch erhob, der Verheißene zu sein. Gobineau schrieb damit das bis dahin umfangreichste, aber äußerst fehlerhafte Werk über die neue Religion.
Das Buch war ein Erfolg; bereits nach einem Jahr mußte eine zweite Auflage gedruckt werden. Es wurde in Europa und Nordamerika vielfach rezensiert. In Deutschland erschienen Rezensionen in der Tübinger Allgemeinen Zeitung (»Die Bábís in Persien« März 1866). Alfred Baron von Kremer benutzte Gobineaus Buch als eine Quelle des Kapitels » Báb und seine Lehre« in seinem Werk Geschichte der
herrschenden Ideen des Islams (1868)-, dasselbe gilt für Dr. Herman Ethés 61 -seitiges Kapitel »Ein moderner Prophet des Morgenlandes« in Essays und Studien (1872). Gobineau inspirierte Marie von Najmájer zur Schaffung des ersten diesem Glauben gewidmeten, epischen Poems in einer westlichen Sprache. In Gurret-ül-Eyn: Ein Bild aus Persiens Neuzeit (1874) erzählt sie die Geschichte von Táhirih, der einzigen Frau unter den »Buchstaben des Lebendigen«, den ersten 18 Anhängern des Báb.
Die 3. Auflage von Gobineaus Buch fand erneut ein Echo, z.B. in Ferdinand Justis Artikel in der Zeitschrift Archiv für Religionswissenschaft (1901). Wie oben angedeutet, veranlaßte Gobineaus Werk E.G. Browne zu seinen ausführlichen Forschungen, und der mit Persien und dem Bábí-Glauben sehr vertraute Franzose A.-L.-M. Nicholas schrieb diverse Richtigstellungen verzerrt oder falsch darge-
stellter Sachverhalte.Das erste im Westen erschienene Buch, das ausschließlich die Bábi-Religion zum Inhalt hat, verfasste Mirza Aleksandr Kazem-Beg von der Universität St. Petersburg: Báb i Bábidy (1865). Auszüge dieses russischen Werkes erschienen in französischer Übersetzung in einer orientalistischen Zeitschrift.
Kazem-Begs Quellen waren Darstellungen des persischen Hofes sowie schriftliche Berichte zweier Personen, die Anhänger des Báb kannten. Sein Buch regte z.B. A. de Bellecomber zu einer Abhandlung über das Leben Táhirihs an, über deren Leben und Wirken auch andere Autoren berichteten.
Neben offiziellen Gesandten und Orientalisten schrieben auch Reisende über die Bábí-Religion. Im Jahre 1862 reiste der italienische Arzt Michele Lessona durch Persien und schrieb ein kleines Buch, I Bábi, in dem er auf Gobineau verweist und feststellt, wie schwierig es ist, authentische Informationen über den Glauben zu erhalten. Unter den Reisenden der 1870er und 1880er befand sich auch eine Frau. Madame Carla Serena reiste von Anzalí nach Teheran und zurück. Ihr Buch Hommes et Chosesen Perse beinhaltet siebzehn Seiten über die Bábís. Der Göttinger Orientalist Friedrich Carl Andreas veröffentlichte 1896 Die Bábis in Persien , eine nicht immer korrekte, aber bis ca. 1880 reichende geschichtliche Darstellung des jungen Glaubens. Besonders interessant sind auch die Berichte über das Bahá’í-Gemeindeleben Christian Közle schrieb und die vielfach rezensiert wurden.
Edward Granville Browne unternahm 1887-1888 eine Persienreise mit dem expliziten Grund, die Bábí-Religion kennenzulernen. Er stellte fest, daß die meisten Bábís bereits Bahá’í geworden waren. Browne traf sowohl Bahá’u’lláh als auch Mirza Yahya, dessen Anhängern er sich später anschloß. Die späteren Werke Brownes sind enttäuschend. Browne widmet sich in vier Büchern nur der Bábí-Religion, erwähnt den Glauben aber auch ausführlich in anderen Werken und verfaßte diverse Artikel, Abhandlungen und Vorträge. Besonders auffallend ist der Wandel von anfänglicher Begeisterung zu einer zynischen und feindseligen Haltung.
A.-L.-M. Nicolas gebührt wohl die Ehre, unter allen europäischen Wissenschaftlem jener Zeit den größten Beitrag zum Wissen über Leben und Lehre des Báb geleistet zu haben. Nicolas' Vater war im französischen Konsulatsdienst in Persien beschäftigt, und der spätere Wissenschaftler wurde 1864 in Rasht geboren. Er sprach persisch, russisch und französisch, arbeitete auch im französischen Kon-
sulat und verbrachte die meisten Jahre seines Lebens in Persien. Sein Vater kritisierte Gobineaus Buch und erweckte so das Interesse des Sohnes, der nach eingehender Untersuchung die Ansprüche Mirza Yahyas als nichtig verwarf. Nicolas' anfänglich positive Einstellung hielt bis 1914 an, als er den
letzten Band seiner französischen Übersetzung des Le Béyan Persan veröffentlichte. Nach einer beinahe zwanzig Jahre umfassenden Pause wandte sich Nicolas ab 1933 massiv gegen die Bahá’í und griff 'Abdu’l-Bahá dafür an, daß er angeblich die Stufe und Sendung des Báb vernachlässige. Die dritte Phase begann, als Nicolas zwei Werke Shoghi Effendis und Nabils Bericht erhielt und sich in
einem Brief an die Dame, die ihm die Bücher geschenkt hatte, freudig dazu äußerte, daß die Bahá’í doch verstanden hätten, dass der Báb genauso wie Bahá’u’lláh eine selbständige Offenbarung gebracht hatte: »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken, noch wie ich der Freude Ausdruck verleihen kann, die mein Herz überströmt. Es ist also nicht nur notwendig, den Báb anzuerkennen, sondern man
muß Ihn auch lieben und bewundern. Armer großer Prophet, im Herzen Persiens geboren, ohne Mittel zum Lehren, der - alleine in der Welt und umgeben von Feinden -es schaffte, durch die Kraft Seiner Genialität eine universelle und weise Religion zu schaffen.... Endlich kann ich in Frieden sterben.
Ruhm gebührt Shoghi Effendi, der meine Qualen und Ängste beruhigt hat; Ruhm sei dem, der den Wert Siyyid 'Alí Muhammads, des Báb, erkennt.« Zusammenfassend bleibt zu bemerken, daß A.-L.M. Nicolas ein Geschichtswerk - Seyyèd Ali Mohammed dit le Báb (Paris 1905) -sowie sechs Bände Übersetzungen der Schriften des Báb, zwei kurze Monographien und diverse Abhandlungen veröffentlichte.
Weitere Gelehrte, die sich in der Beschäftigung mit der Bábí-Religion und den Anfängen der Bahá’í-Religion hervortaten, waren Hippolyte Dreyfus und Clément Huart in Frankreich und Baron Victor Rosen und Capt. Alexander Tumanski in Rußland. In Deutschland fand eine geringere Beschäftigung mit dieser Thematik statt. Erwähnenswert ist die Dissertation Hermann Roemers, die er 1911 an der Universität Tübingen einreichte (Die Bábí - Behá'í). Darin untersucht er die Geschichte beider Religionen bis ins 20. Jahrhundert und berichtet dabei auch über Bahá’í-Aktivitäten und -Gemeinden in Europa, Nordamerika und im Fernen Osten. Roemer veröffentlichte darüber hinaus diverse Artikel in der Orientalistenzeitschrift Der Islam.
In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts durchlief die diplomatische Szene in Teheran starke Veränderungen. Während 1850 nur die Türkei, Rußland und England durch diplomatische Missionen in Teheran vertreten waren, befanden sich in den 1890er Jahren zusätzlich Abgesandte Frankreichs, Deutschlands, Österreichs, Amerikas , Belgiens, Italiens und der Niederlande dort. England
und Rußland blieben tonangebend und waren am besten informiert.
Eines der bemerkenswertesten Bücher über Persien verfasste George Nathaniel Curzon, der spätere Lord Curzon of Kedleston. Er verbrachte zweieinhalb Monate in Persien und Persia and the Persian Question (1892) ist ein in seiner Darstellung ausgewogenes Werk. Er stellt darin die Fehler früherer
Werke über die Bábí-Religion richtig, erzählt ihre Geschichte bis 1852 und berichtet über neuere Entwicklungen zum Bahá’í-Glauben hin. Eine weitere detaillierte historische Darstellung, die aber leider eine Vielzahl unrichtiger Informationen enthält, ist das Buch des Militärsekretärs und späteren Attachés
der britischen Gesandtschaft in Teheran von 1889 bis 1893: Sir Thomas Gordons Persia Revisited.
Die Bábi und die Bahá'í in der BelletristikMarie von Najmájer blieb nicht die einzige Schriftstellerin, die sich von der Geschichte der Bábís zu einem literarischen Werk inspirieren ließ. José Maria Eça de Queirós, einer der größten portugiesischen Romanciers, erwähnt in seinem Reiseroman Correspondencia de Fradique Mendes (1889) die Bábí in Ägypten. In seinem einzigen literarischen Werk - Un Amour au Pays des Mages (1891) - be-
nutzt Ange-Pierre-Guillaume Ouvré de Saint-Quentin die Bábí-Geschichte als Kulisse für die romantische Beziehung zwischen einem armen Derwisch und der Tochter des Mujtahid von Qazvín.
Ethel Stefana May Stevens, die spätere Lady Drower, verbrachte sechs Monate in Haifa und schrieb 1911 ihren Roman The Mountain of God. Darin berichtet sie über das Leben der Bahá’í-Gemeinde in Haifa und Akká und über die Rolle 'Abdu'l-Bahás.
In Gertrude F. Athertons Roman Julia France and Her Times (1912) trifft die Protagonistin 'Abdu'I-Bahá in Haifa und kehrt nach England zurück. Dort versucht sie, den Schriftsteller Nigel dazu zu überreden, über die Bahá’í zu schreiben. In der deutschen populären Literatur findet die oft verzerrte Berichterstattung der Zeitungen und der Reiseerlebnisse ihr Echo in den Romanen eines vielge-
lesenen Autors. Karl May, der selbst weder Amerika noch den Orient bereiste, schrieb nicht nur die bekannten Indianergeschichten. Zahlreiche Romane spielen in Mexiko, Deutschland, sogar in Sibirien und im Orient. Im ersten Band seines Werkes Im Reich des silbernen Löwen erwähnt er den Báb und Seine Religion, stellt aber diverse Sachverhalte falsch dar.
Neben Najmájers Poem und zahlreichen Romanen eröffnete die russische Künstlerin Izabella Grinevskaya den Reigen der Dramen. 1903 schrieb sie ein dramatisches Poem in fünf Akten, das 1904 und erneut im April 1917 in Theatern St. Petersburgs aufgeführt wurde. Da dramatische Effekte im Vordergrund stehen, ist das Stück leider historisch sehr ungenau. 1912 verfaßte Grinevskaya ein
ähnliches Werk über Bahá’u’lláh, das positiv aufgenommen wurde. Im Jahr davor hatte die Dramatikerin 'Abdu'I-Bahá in Ägypten getroffen und schrieb darüber in A Journey in the Countries of the Sun.
Weitere Schriftsteller und Gelehrte äußerten sich in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts zum Bábí- und Bahá’í-Glauben. Dr. Benjamin Jowett, der Master des Balliol College in Oxford, beschäftigte sich mit diesem Thema. Professor Thomas Kelly Cheyne der Universität Oxford traf verschiedene Bahá’í und lud zum 31.1.1912 'Abdu'I-Bahá zu einem Besuch dieser Hochschule ein.
Sein letztes großes Werk, The Reconciliation of Races and Religions, behandelt ausführlich die Bahá’í-Religion. Bei 'Abdu'I-Bahás Besuch der Oxforder Universität hielt der berühmte Bibelforscher Professor John Estlin Carpenter einen besonderen Empfang am Manchester College.
Der französische Schriftsteller Romain Rolland, der 1916 den Nobelpreis für Literatur erhielt, zitiert in seinem Roman Clerambault aus den Beantworteten Fragen 'Abdu'I-Bahás. Rolland besuchte das Bahá’í-Zentrum in Genf und korrespondierte mit dem berühmten russischen Literaten Leo Tolstoj, der
wiederholt Kontakt mit Bahá’í hatte. Tolstojs Aussagen über die Bahá’í-Religion schwanken über die Jahre hinweg zwischen Begeisterung und Ablehnung.
Der Schweizer Naturforscher, Soziologe und Philosoph Auguste Forel hörte 1920 erstmals von der Bahá’í-Religion und erhielt einen berühmten Sendbrief von 'Abdu'I-Bahá. Forel wies 1927 das französische Außenministerium auf die Verfolgungen der Bahá’í in Persien hin. Vor seinem Tod im Jahre 1931 schrieb er ein »geistiges Testament«, in dem er den Bahá’í-Glauben erwähnt, sich selbst als
Bahá’í bezeichnet und der Gemeinde viel Erfolg wünscht.
Weiterhin gab es Orientalisten, die sich mit der Bahá’í-Religion befaßten, darunter Professor Arthur Christensen in Dänemark, Sir Denison Ross in England und Mikhail Sergeevich Ivanov in Rußland. Gegnerschaft findet man in den Berichten christlicher Missionare, die falsche Informationen und Verurteilungen enthielten. Europäische Ärzte in Persien, Journalisten und Reisende erwähnten immer wieder den neu entstandenen Glauben.
Königin Maria von RumänienBesondere Ehre gebührt Königin Maria von Rumänien, die als erstes gekröntes Haupt in Europa eine freundschaftliche Beziehung zu den Bahá’í entwickelte und ihrer Wertschätzung für den Glauben Ausdruck verlieh. 1926 erhielt sie von der weitgereisten Bahá’í Martha Root J. E. Esslemonts Buch Bahá'u'lláh und das neue Zeitalter zugesandt. Am 30. Januar desselben Jahres gewährte Maria von
Rumänien im Controcenti-Palast Martha Root eine Audienz. Durch ihre positive Aufnahme der Bahá’í-Lehren erschien auf Anraten und im Namen der Königin am 4. Mai 1926 ein Artikel im Toronto Daily Star. Maria von Rumänien führte eine langjährige Korrespondenz mit Shoghi Effendi. Fünf weitere Darstellungen aus ihrer Feder erschienen in über 200 Zeitungen Kanadas und der Vereinigten Staa-
ten von Amerika. Sie schrieb: »Die Bahá’í-Lehre bringt Frieden und Verständigung. Sie ist wie eine ungeheure Umarmung, die alle umfängt, die lange nach Worten der Hoffnung gesucht haben . . . Traurig über den dauernden Zwist unter den Gläubigen vieler Konfessionen und ihrer gegenseitigen Unduldsamkeit so überdrüssig, entdeckte ich in der Bahá’í-Lehre den wahren Geist Christi, der so oft geleugnet und verkannt wird ... Die Bahá’í-Lehre bringt der Seele Frieden und den Herzen Hoffnung. Den nach Gewissheit forschenden sind die Worte des Vaters wie ein Brunnen in der Wüste nach langer Wanderschaft« (Gott geht vorüber, S.445).
SchlußwortIm Europa des 19. Jahrhunderts beschränkte sich der Zugang zum Bábí-Glauben auf diplomatische Würdenträger und andere Mitglieder der höheren Gesellschaft, die durch Reisen die Möglichkeit hatten, sich über andere Länder zu informieren. In Wissenschaft und Literatur interessierte man sich für diese neue Religion, die einerseits im - sicherlich von vielen als exotisch empfundenen - Orient
entstand und andererseits Lehren beinhaltete, in denen einige Wissenschaftler, Denker und Schriftsteller für den Westen geeignetes Gedankengut als Antwort auf die Wirren der Zeit fanden. Die wachsende Anzahl von Lesern dieser Literatur und die stärkere Verbreitung von Zeitungen trugen zur Bekanntmachung der Bábí- und Bahá’í-Religion um die Jahrhundertwende und in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts bei. Trotz des Engagements einzelner Menschen, die dem neuen Glauben gegenüber positiv eingestellt waren, gehörten die beiden kurz nacheinander erschienenen und eng verbundenen Religionen nicht bereits nach kurzer Zeit zur Allgemeinbildung des Durchschnittsbürgers. Die Wechselfälle des ausgehenden und die Wirren dieses Jahrhunderts verstellten oft den Blick auf eine Botschaft, die der Welt eine neue Chance bietet, sich zu regenerieren
und der Errichtung des Weltfriedens entgegenzueilen.
(Aus Bahá’í-Briefe NR. 65) Hofheim-Langenhain: Bahá’í-Verlag, 2. Auflage 1974
2 Hofheim-Langenhain: Bahá’í-Verlag, 1975, 1982, 1991 Die folgenden Ausführungen basieren auf Angaben in dem von Moojan Momen herausgegebenen Buch The Báb(and Bahá’í (Religions, 1844: Some Contemporary Accounts. Oxford: George Ronald, 1981. Siehe Shoghi Effendi, Gott geht vorüber, S. 220-221
Siehe Hasan M. Balyuzi, Edward Granville Browne and the Bahti'i Faith, Oxford: George Ronald, 1970 unveröffentlichte Übersetzung aus Momen, S. 38
Der erste Vertreter der Vereinigten Staaten war Samuel Benjamin, der dort von 1883 bis 1885 lebte und in seinem Buch Persia and the Persians auch über die Bábís berichtet. Siehe Luigi Stendardo. Leo Tolstoj and the Bahá’í Faith. Oxford: George Ronald, 1985.
Der Báb - das Tor - Frühes Echo in der westlichen Welt von Nassim Berdjis - aus Bahá’í Briefe Nr. 65
Hamburg, den 10.06.2003